GESCHICHTEN

Die Regeln der Blaulinge
(oder: Über den Umgang mit Töpferwerkstätten, ihren BewohnerInnen und anderen fremden Welten)

  1. Lies‘ dies gut durch und entscheide dann, ob Du diese andere Welt betrittst, oder nicht.
  2. In dieser Welt gilt es zu grüßen, wenn Du kommst und zu grüßen, wenn Du wieder gehst.
  3. Blaulinge sind sensibel und zerbrechlich: sprich behutsam, freundlich und erschrecke sie nicht, denn: Du bist hier der Fremde und Du betrittst ihr Haus
  4. Blaulinge mögen keine Intoleranz: drum sprich darüber, wenn Dir etwas gefällt und schweige, wenn Du etwas nicht magst; frage Dich selbst, wieso Du es nicht magst
  5. Du triffst auf ein Volk, das mit der Erde arbeitet und jeden Tag neu durch das Feuer geht: Blaulinge haben viel erlebt und ein grosses Wissen über die Menschen: darum behaupte nichts, frage lieber.
  6. Blaulinge sind blau, weil blau die Farbe der Sehnsucht ist: störe keinen beim Träumen, der gerade träumt, keinen beim Arbeiten, der gerade arbeitet; frage den, der Dich anschaut und so seine Offenheit für Dich signalisiert
  7. Alle anderen Gegenstände in dieser Welt sind mühsam erdacht, mit Sorgfalt gearbeitet und mit Liebe durch die Feuerprobe gegangen: darum kannst Du sie jetzt ansehen und in die Hände nehmen; sei Dir darüber im Klaren, wenn Du etwas anschaust, anfaßt oder gar zu Dir nach Hause mitnehmen willst
  8. Die letzte Regel ist wohl die entscheidendste: willst, wirst oder kann Du Dich nicht an die Regeln dieser fremden Welt halten, dann sei ehrlich genug vorbeizugehen und respektiere diese fremde Welt und ihre Bewohner genauso, wie Du es Dir für Dich wünschst.

Die Blaulinge grüßen Dich in Deiner Welt
Und wünschen Dir einen guten Weg...

© 1997 Dipl.-Psych. Wolff Henschen

  

 

Ein großes Mögen und ein großes Ängstlichsein

Ein großes Mögen und ein großes Ängstlichsein begegneten sich im Wald. sagt das große Mögen "wissen sie, das leben ist doch schon ein verrückter platz; da glaubt man dass etwas nicht mehr wieder geschehen kann und plötzlich passiert es doch und wirft einen aus der bahn; aber ich freue mich drauf und kann es schön finden so....". das große Ängstlichsein schaut skeptisch und ein wenig ungläubig drein und meint dann, den kopf langsam hin und her wiegend: "ja, da mögen sie schon recht haben, aber mir geht doch nichts über meine Sicherheit; für sie habe ich ja so lange gekämpft, mit viel kraft und aufwand, und ich würde niemals wie sie, mich einfach so aus der bahn werfen lassen, sondern warten und schauen, abwägen und sichten, wiederum nochmals bedenken, bevor ich mich endgültig für oder gegen etwas entschiede". dem großen mögen missfiel dieser Standpunkt deutlich, das war zu sehen, und es sagte etwas gereizt: "ach, diese Polaritäten; was im leben ist denn schon eindeutig frage ich sie; geht es nicht darum, das leben zu verstehen, einzusehen, dass es Veränderungen gibt, mal kleine, mal ganz große, und dass das glück höchstens zwei drei mal vorbeikommt in einem leben und man weiß, das (!) ist es... unter uns es kommt bestimmt öfters vorbei, aber schließlich merkt man’s ja nicht immer deutlich genug." das große Ängstlichsein war sprachlos vor so viel Dummheit, schüttelte angewidert den kopf, wurde ein bisschen rot um die Wangen, kratzte sich noch einmal am Kopf; dann blickte es auf seine Uhr, kramte seinen Einkaufszettel hervor, sagte kurz: "ja, ja, und auf wiedersehen" und wollte schnell gehen. das große Mögen, das schon lange verstanden hatte, was es ausgelöst hatte, blickte der großen Ängstlichkeit unverblümt und fast ein wenig frech in die grünen Augen und erwiderte: "sehen sie, genau das weiß man eben nie". so verlief diese Begegnung von der ich dir hier erzählt habe.

2000 © Dipl.-Psych. Wolff Henschen